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Brandenburgische Richtlinie über bauaufsichtliche Anforderungen an Wohnformen für Menschen mit Pflegebedürftigkeit oder mit Behinderung (Brandenburgische Wohnformen-Richtlinie - BbgWR)

Brandenburgische Richtlinie über bauaufsichtliche Anforderungen an Wohnformen für Menschen mit Pflegebedürftigkeit oder mit Behinderung (Brandenburgische Wohnformen-Richtlinie - BbgWR)
vom 24. Juli 2017
(ABl./17, [Nr. 33], S.703)

Erwägungsgründe

Mit der Brandenburgischen Wohnformen-Richtlinie reagiert das Bauordnungsrecht auf den demografischen Wandel, der eine wachsende Anzahl pflege- und betreuungsbedürftiger Menschen zur Folge hat.

Im Zuge der gesellschaftlichen Veränderungsprozesse sind in den letzten Jahren - entsprechend dem im Sozialrecht verankerten Grundsatz „ambulant vor stationär“ - bundesweit neue betreute Wohnformen im Pflege- und im Behindertenbereich ent-standen, die die bisherigen klassischen Wohnformen (stationäre Einrichtungen und ambulante Leistungserbringung in der Einzelhäuslichkeit) ergänzen.

Zu den neuen betreuten Wohnformen gehören insbesondere die ambulant betreuten Wohngemeinschaften. Menschen, die sich für das Leben in einer Wohngemeinschaft entscheiden, räumen der selbstbestimmten, normalen und teilhabeorientierten Lebensführung einen besonderen Stellenwert ein.

Nach dem Bauordnungsrecht müssen bauliche Anlagen so beschaffen sein, dass sich bei einem Brand in einem Gebäude die Personen selbst retten können. Bei Wohngebäuden wird davon ausgegangen, dass einzelne Personen, die wegen ihrer gesundheitlichen Einschränkungen oder Behinderung nicht zur Selbstrettung fähig sind, durch ihre Mitbewohner gerettet werden.

Wohnen in einem Gebäude oder einer Wohnung Personen, die überwiegend nicht zur Selbstrettung fähig sind, erhöht sich das Risiko. Hier muss durch zusätzliche bauliche und betriebliche Maßnahmen die Personenrettung unterstützt werden.

Das Bauordnungsrecht hat die Pflicht, einen angemessenen Rahmen an Mindestanforderungen zum Brandschutz zu schaffen.

Für Wohnformen im Sinne dieser Richtlinie

  • werden brandschutztechnische Sicherheitsniveaus definiert, die einerseits dem erhöhten Schutzbedürfnis von in der Regel nicht oder nur eingeschränkt zur Selbstrettung befähigten Bewohnern Rechnung tragen, andererseits den Spielraum für eine selbstbestimmte, normale und teilhabeorientierte Lebensführung in überschaubaren und wohnlichen Lebenszusammenhängen erhalten,
  • werden angemessene und wirtschaftlich vertretbare Anforderungen formuliert, so dass Wohnformen für Menschen mit Pflegebedürftigkeit oder Behinderung, wie ambulant betreute Wohngemeinschaften, auch im Gebäudebestand realisiert werden können,
  • wird den mit diesen Wohnformen berührten Personenkreisen Planungssicherheit gegeben,
  • werden den Bauaufsichtsbehörden für Sonderbauten nach § 2 Absatz 4 Nummer 9 Buchstabe a und b der Brandenburgischen Bauordnung Entscheidungskriterien für die Ausübung ihres Ermessens an die Hand gegeben, um einen einheitlichen bauaufsichtlichen Vollzug zu erreichen.

Nach § 51 Absatz 1 Satz 1 und 2 der Brandenburgischen Bauordnung können an Sonderbauten im Einzelfall nach pflichtgemäßem Ermessen besondere Anforderungen gestellt oder Erleichterungen gestattet werden. Die möglichen besonderen Anforderungen und Erleichterungen werden für den Regelfall beschrieben.

Das Brandschutzkonzept der Richtlinie berücksichtigt die Präsenz von Pflege- und Betreuungskräften (auch Nachtwachen), Angehörigen und ehrenamtlichen Personen (im Folgenden: Betreuungskräfte).

In den Fällen des § 2 Absatz 4 Nummer 9 Buchstabe a und b der Brandenburgischen Bauordnung soll die Rettung dieser Personen hauptsächlich dadurch unterstützt werden, dass diese ausreichend lange in einem sicheren Bereich verbleiben oder dass diese Personen einen sicheren Bereich aufsuchen können. Dafür sieht das Brandschutzkonzept der Richtlinie alternativ eine Bereichs- oder Zellenlösung vor.

Ob gegebenenfalls andere Brandschutzkonzepte den örtlichen Gegebenheiten oder Planungsabsichten besser gerecht werden und ebenso geeignet sind, die bauordnungsrechtlich vorgegebenen Schutzziele zu erfüllen, ist einzelfallbezogen zu entscheiden. Das Brandschutzkonzept soll sich jedoch grundsätzlich am Sicherheitsniveau und den Zielsetzungen dieser Richtlinie orientieren, wenn die Gebäudestruktur und -konstruktion dies zulassen.

1 Anwendungsbereich

Diese Richtlinie regelt besondere Anforderungen und Erleichterungen im Sinne von § 51 der Brandenburgischen Bauordnung für Gebäude mit Nutzungseinheiten nach § 2 Absatz 4 Nummer 9 Buchstabe a und b der Brandenburgischen Bauordnung, in denen insgesamt bis zu zwölf Menschen mit Pflegebedürftigkeit oder Behinderung wohnen, unabhängig davon, ob es sich dabei um ambulant betreute Wohngemeinschaften oder Einrichtungen handelt, sofern sie nur einen gemeinsamen baulichen Rettungsweg haben. Nutzungseinheiten im Sinne dieser Richtlinie dienen dem Zweck der Pflege oder Betreuung von Personen mit Pflegebedürftigkeit oder Behinderung, deren Selbstrettungsfähigkeit eingeschränkt ist. Nicht in den Anwendungsbereich fallen Nutzungseinheiten, in denen Pflege oder Betreuung in Familien erbracht wird, sowie Gebäude mit Nutzungseinheiten nach § 2 Absatz 4 Nummer 9 Buchstabe c der Brandenburgischen Bauordnung. Pflege und Betreuung im Sinne von Satz 2 liegen nicht vor, wenn sie sich auf hauswirtschaftliche Versorgung, Verpflegung oder allgemeine Dienstleistungen wie Notruf- oder Hausmeisterdienste, Informations- und Beratungsleistungen beschränken.

2 Bauliche Anforderungen, Rettungswege

2.1 Allgemeines

Soweit in dieser Richtlinie nichts anderes geregelt ist, genügen die Anforderungen, die die Brandenburgische Bauordnung an Wohnungen und Wohngebäude stellt. Soweit in bestehenden Wohnungen Nutzungseinheiten im Sinne dieser Richtlinie eingerichtet werden, sind in der Regel keine Anforderungen an Bauteile zu stellen, die über die Anforderungen dieser Richtlinie hinausgehen.

2.2 Anforderungen an Bauteile

In Nutzungseinheiten nach § 2 Absatz 4 Nummer 9 Buchstabe a und b der Brandenburgischen Bauordnung sind Bereiche nach Nummer 2.2.1 oder Zellen nach Nummer 2.2.2 zu bilden. Eine Ausbildung von Bereichen oder Zellen ist in Nutzungseinheiten nach § 2 Absatz 4 Nummer 9 Buchstabe a der Brandenburgischen Bauordnung nicht erforderlich, wenn in erdgeschossigen Nutzungseinheiten ein zweiter, jedem Bewohner zugänglicher und entgegengesetzt liegender Ausgang vorhanden ist, der unmittelbar ins Freie führt.

2.2.1 Bereichslösung

In Nutzungseinheiten sind mindestens zwei Bereiche mit jeweils höchstens sechs Betten zu bilden. Die Bereiche müssen voneinander durch Wände oder Decken getrennt sein, die als raumabschließende Bauteile die Feuerwiderstandsfähigkeit der tragenden und aussteifenden Bauteile des Gebäudes haben, jedoch müssen sie mindestens hochfeuerhemmend sein. § 29 Absatz 4 und 5 Halbsatz 1 der Brandenburgischen Bauordnung gilt entsprechend. Öffnungen in diesen Trennwänden müssen feuerhemmende, rauchdichte und selbstschließende Abschlüsse haben. Die Bereiche sind so zu bemessen, dass zusätzlich alle Personen aus dem größten benachbarten Bereich vorübergehend aufgenommen werden können.

2.2.2 Zellenlösung

Bei der Zellenlösung sind die Wände und Decken der Schlafräume als raumabschließende Bauteile mindestens hochfeuerhemmend auszubilden; dies gilt nicht für Außenwände. Türen in den Schlafraumwänden müssen, außer zu zugehörigen Sanitärräumen, feuerhemmend, rauchdicht und selbstschließend sein. Je Zelle sind nicht mehr als zwei Betten zulässig.

2.3 Rettungswege

Für Nutzungseinheiten nach § 2 Absatz 4 Nummer 9 der Brandenburgischen Bauordnung ist ein baulicher Rettungsweg ausreichend, wenn keine Bedenken wegen der Personenrettung bestehen (§ 33 Absatz 3 Satz 2 der Brandenburgischen Bau-ordnung). Dies ist bei Nutzungseinheiten nach § 2 Absatz 4 Nummer 9 Buchstabe a der Brandenburgischen Bauordnung gegeben, wenn die baulichen Voraussetzungen nach Nummer 2.2 erfüllt sind; werden dabei Bereiche nach Nummer 2.2.1 ausgebildet, müssen die Rettungswege nach § 33 Absatz 1 der Brandenburgischen Bauordnung von jedem Bereich unmittelbar erreichbar sein. In Nutzungseinheiten nach § 2 Absatz 4 Nummer 9 Buchstabe b der Brandenburgischen Bauordnung mit mehr als drei Personen ist ein zweiter baulicher Rettungsweg erforderlich.

2.4 Notwendige Flure

Notwendige Flure im Sinne des § 36 Absatz 1 Satz 1 der Brandenburgischen Bauordnung sind innerhalb der Nutzungseinheit nicht erforderlich.

2.5 Barrierefreiheit

Bei der Planung von Wohnformen nach dieser Richtlinie ist die barrierefreie Nutzbarkeit gemäß § 51 Absatz 1 Satz 3 Nummer 16 der Brandenburgischen Bauordnung zu gewährleisten. Gestützt auf die Rechtsgrundlage des § 51 Absatz 1 Satz 1 der Brandenburgischen Bauordnung sind nutzungsbedingt und im Hinblick auf die Einhaltung der bauordnungsrechtlichen Schutzziele die materiellen Anforderungen der DIN 18040-2 einschließlich der Kennzeichnung „R“ umzusetzen.

3 Alarmierungseinrichtungen

In Nutzungseinheiten nach § 2 Absatz 4 Nummer 9 Buchstabe a und b der Brandenburgischen Bauordnung müssen Brandmeldeanlagen zur internen Alarmierung vorhanden sein, die alle Aufenthaltsräume und Flure mit automatischen Meldern überwachen und die anwesenden Betreuungskräfte warnen können.

4 Feuerlöscher

In Nutzungseinheiten nach § 2 Absatz 4 Nummer 9 Buchstabe a und b der Brandenburgischen Bauordnung muss mindestens ein geeigneter Feuerlöscher vorhanden sein.

5 Organisatorischer Brandschutz

Die in den Nummern 5.1 bis 5.3 genannten Pflichten sind durch die Bauherrin oder den Bauherrn oder die Eigentümerin oder den Eigentümer oder die Betreiberin oder den Betreiber oder eine von ihr oder ihm beauftragte Person wahrzunehmen (verantwortliche Person). Die verantwortliche Person ist mit den eingereichten Bauvorlagen zu benennen.

5.1 Brandschutzordnung

In Abstimmung mit der Brandschutzdienststelle ist eine Brandschutzordnung aufzustellen und durch Aushang bekannt zu machen. In der Brandschutzordnung sind die Maßnahmen festzulegen, die zur Rettung der Bewohner und Alarmierung hilfeleistender Stellen erforderlich sind.

5.2 Feuerwehrpläne

In Abstimmung mit der Brandschutzdienststelle ist ein Feuerwehrplan anzufertigen und der örtlichen Feuerwehr zur Verfügung zu stellen.

5.3 Präsenz von Betreuungskräften

Die Richtlinie setzt die Präsenz von Betreuungskräften voraus. Die Betreuungskräfte sind vor Wahrnehmung ihrer Aufgabe und danach mindestens einmal jährlich über die Brandschutzordnung zu unterweisen. Den Brandschutzdienststellen ist Gelegenheit zu geben, an der Unterweisung teilzunehmen. Über die Unterweisung ist eine Niederschrift zu fertigen, die der Bauaufsichtsbehörde auf Verlangen vorzulegen ist.

6 Evaluierung

Das für die Bauaufsicht zuständige Mitglied der Landesregierung wird fünf Jahre nach Inkrafttreten dieser Richtlinie eine Evaluierung der Vollziehung dieser Richtlinie durchführen.

7 Inkrafttreten

Diese Richtlinie tritt am Tag nach der Veröffentlichung im Amtsblatt für Brandenburg in Kraft.